Leute, es war billig!

Text von Caro, Illustration von Lena


Anfang Juli sind meine drei besten Freundinnen und ich auf Abireise quer durch Europa gefahren. Per Zug, Bus und Flugzeug haben wir Babenhausen, Berlin, Hamburg, Amsterdam, London und Brighton besucht. Da wir mittellose Abiturienten sind und möglichst viel Geld sparen wollten (aber nicht, was Shoppen angeht), haben wir die billigsten Transportmittel und Hotels gebucht – dass dabei nicht immer nur Gutes rauskommt, war uns klar. Dass die Reise dadurch ein echtes Abenteuer werden würde, auch. Zumindest so irgendwie. Aber mit allem, was uns deswegen so passiert ist, haben wir dann doch nicht gerechnet.

Babenhausen
Hier denkt sich wahrscheinlich mal jeder: „Hä? Babenhausen? Das ist bitte wo?“ Wussten wir auch nicht, bis wir beschlossen haben, unbedingt die Shishabar unseres Lieblingsdeutschrappers Haftbefehl besichtigen zu müssen und unseren Trip damit zu beginnen. Etwas befremdlich, ich weiß. Aber wir sind nicht unbedingt dafür bekannt, die logischsten Entscheidungen zu treffen. Auch hier war es eher so:

Quelle: Pinterest

Bereits bei der Planung der Reise stießen wir hier auf erste (selbstverschuldete) Hindernisse: Wir hatten irrtümlich angenommen, die Shishabar sei in Oberhausen. Erst, als bereits alle Züge gebucht waren, bemerkten wir unseren Fehler und mussten alles noch einmal über den Haufen werfen. 
Nach einigem hin und her sind wir dann aber doch noch nach Babenhausen gekommen. Aber erst, nachdem uns ein fies grinsender Typ im Zug von unserem Viererplatz vertrieben hat – er hatte da reserviert. Und alleine sitzt es sich ja auch viel schöner an dem großen Tisch. 

In Babenhausen war unsere angepeilte Location (aka die Shishabar) dann immerhin schnell gefunden. Sie war ein direkter Teil des winzigen Bahnhofgebäudes und sperrte leider erst um fünf Uhr nachmittags auf. Unser Zug war aber bereits um 12 Uhr mittags angekommen, und so hieß es warten. Da Babenhausen nicht sonderlich groß und schon gar nicht touristisch ist, avancierten wir vier jungen Mädchen mit den großen Koffern, dem unverständlichen Dialekt und dem penetranten Vortragen eines klassischen österreichischen Zeltfestlieds schnell zur lokalen Attraktion. Ein Coffeeshop-Besitzer fragte uns entgeistert, was für bescheuerte Zugverbindungen wir denn bitte gebucht hätten und versicherte uns, dass es hier immerhin nicht so asozial wie im benachbarten Hanau sei. Unsere ursprüngliche Motivation für Babenhausen teilten wir niemandem mit. Das war uns dann doch irgendwie zu blöd. Stattdessen spielten wir Runde um Runde von fuck, marry, kill und spazierten schließlich um viertel nach fünf total cool in die Shishabar, die sich als wirklich schön und auch preiswert herausstellte. Das Warten hatte sich also gelohnt.

Berlin
Nach Berlin zu kommen, gestaltete sich schließlich schwieriger als gedacht. Die Deutsche Bahn, nicht gerade bekannt für ihre Zuverlässigkeit, hatte nämlich kurzfristig beschlossen, unseren Zug einfach abzusagen. Wir standen also im – wir erinnern uns – asozialen Hanau und wussten nicht, wohin. Die Deutsche-Bahn-Mitarbeiter machten genau wie die Leute im Saturn einen auf „Das ist nicht meine Abteilung“, und so musste uns ein lokaler S-Bahn-Mitarbeiter helfen, doch noch nach Berlin zu kommen – mit einem anderen Zug eben. In ebenjenem begegneten wir dann auch prompt der deutschen Schauspielerin Karoline Herfurth (den meisten wahrscheinlich bekannt aus Fack ju Göhte) und deckten uns bei einem zuvor erfolgten Umstieg in Fulda mit reichlich Kebap (oder auch: Döner) ein. 
Irgendwann nach Mitternacht landeten wir schließlich in Berlin. Im Hostel angekommen, stellten wir irritiert fest, dass sich fremdes Gepäck in unserem Zimmer befand, welches auch der Hotelinhaber keinem seiner Gäste zuordnen konnte. Wir wurden kurzerhand umquartiert und zogen am nächsten Tag in ein anderes Hotel um. In diesem ganzen Chaos ging leider ein iPhone-Ladekabel verloren.
Die nächsten Tage in Berlin verliefen dann relativ friedlich und ohne gröbere Komplikationen. Der Rezeptionist unseres Hotels gab uns eine motivierte Lebensweisheit mit auf den Weg, die sich später noch als äußerst relevant herausstellen sollte: „Es gibt keine Probleme. Nur Herausforderungen und Lösungen.“

An dem Nachmittag, an dem wir nach Hamburg weiterfahren wollten, sahen wir uns mit einer Situation, die diese positive Denkweise erforderte, konfrontiert. Wir gutmeinenden Touristen hatten uns eine Tageskarte für die U-Bahn gekauft – in dem festen Glauben, diese gelte 24 Stunden. Leider hatten wir das Kleingedruckte fröhlich ignoriert. Dies besagte nämlich, dass eine Tageskarte nur bis drei Uhr früh des Folgetages gültig ist. Bei einer Fahrkartenkontrolle auf dem Weg zurück zu unserem Hotel zückten wir also beherzt unsere Tageskarten, nur, um dann festzustellen, dass wir irrtümlich schwarzgefahren waren. Die Kontrolleure hatten schließlich Mitleid mit unseren verwirrten touristischen Seelen und senkten die Strafe um die Hälfte. Unser Cashflow und unser Zeitplan wurden durch das ungewollte Erstarken unserer kriminellen Energie dann trotzdem etwas in Mitleidenschaft gezogen.

Hamburg
Nach diesem ernüchternden Erlebnis gestaltete sich die Weiterreise nach Hamburg natürlich auch nicht so schön, wie wir uns das erhofft hatten. Im Speisewagon unseres Zuges wurde ein besitzerloser Koffer aufgefunden. Der Zugfahrer teilte uns trocken mit, dass man die Bundespolizei benachrichtigt hatte, um eine etwaige Bombengefahr zu untersuchen und einzudämmen. Wir waren bereits leicht hysterisch, als wir schließlich mit Verspätung in Richtung Norden losrollten.
In Hamburg bekamen wir zum ersten Mal einen Vorgeschmack darauf, was uns noch erwarten würde, weil wir die billigsten Hotels gebucht hatten. Als wir am ersten Abend vom Bahnhof zu unserem Hamburger Hotel wanderten, wurde uns leicht mulmig. Das Viertel, in dem sich unsere Wohngelegenheit auf Zeit befand, war alles andere als schön und ging ziemlich in Richtung Ghetto, wie man so schön sagt. Wir beschlossen einstimmig, hier abends nicht lange wegzubleiben. Das Hotel an sich war dann eigentlich ganz okay. Wir klauten immer Essen vom Frühstücksbuffet, weil das bereits im Preis inbegriffen war und hätten es auch so ziemlich klasse gefunden, wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass es im Bad permanent nach Urin stank und sich vor dem Klo ein dickes Glasfenster befand, welches einem einen verzerrten, aber doch relativ eindeutigen Einblick in die Geschäfte des Klogehers ermöglichte. Dies und das ständige Geheule von Sirenen trugen nicht unbedingt dazu bei, uns gemütlich zu stimmen.

Amsterdam – und vorher noch ein bisschen Hölle
Unser heftiges Bestreben, wenig Geld für Transportmittel und Hotels auszugeben, führte dazu, dass wir nur einen Tag im überteuerten Amsterdam verbrachten. Die Reise dahin war dafür auch gleich extra abenteuerlich: Von Hamburg aus ging es in einem Zug bis nach Münster, wo wir uns ein Abteil mit einem an den Lippen zusammengewachsenen Pärchen teilten. In Münster stiegen wir um in einen Zug nach Enschede, einer Stadt in den Niederlanden, wo wir von Mitternacht bis um fünf Uhr früh warten mussten, um nach Amsterdam zu kommen. Dieser kleine Makel war uns bei der Planung der Reise leider nicht sofort aufgefallen, oder aber, wir hatten ihn einfach schnell verdrängt. Irgendwo muss man ja sparen.
Zuerst fanden wir noch eine halbe Stunde Zuflucht im Bahnhofseigenen Burger King. Dieses Glück währte aber eben nicht lange, und kurz darauf wurde auch das Bahnhofsgebäude (samt Toiletten) abgeschlossen. Wir  saßen also in der Kälte draußen bei den Gleisen und bibberten um die Wette. An Schlaf war nicht zu denken. Gesellschaft leisteten uns aber immerhin ein amerikanisches Pärchen mit kaum Gepäck, dafür einem Kleinkind, ein einsamer Reisender mit Riesenkoffern und ein Klavier, das mitten im Freien stand und auf eine geübte Hand wartete. Da niemand von uns dem Klavierspiel mächtig ist, wurde es allerdings bloß zu dekorativen Zwecken für einen Instagram-Post verwendet. Gegen zwei Uhr erfolgte eine Explosion in unmittelbarer Nähe, was die ganze Situation nicht unbedingt angenehmer machte. Außerdem fanden wir noch eine fast volle Packung Zigaretten und ein kleines Plastiksäckchen, dessen früherer Inhalt eindeutig den Niederlanden zuzuordnen war. Als wir um fünf Uhr früh in einen zugigen Regionalzug nach Amsterdam stiegen und dort immerhin eine Stunde schlafen konnten, kam uns das also schon ziemlich paradiesisch vor.

Amsterdam selbst verzauberte uns dann aber nicht weiter. Ehrlich gesagt stank es nur ziemlich. Komplett übermüdet, mit Koffein vollgepumpt und notdürftig auf einem Klo zurechtgemacht, staksten wir aus dem Bahnhofsgebäude in jene Stadt, die The fault in our stars als „die Stadt der Freiheit“ bezeichnet wird. Nach stundenlangem Herumgewandere, einer pelzigen Zunge trotz strenger Marihuana-Abstinenz und dem Verwechseln einiger Prostituierter mit Schaufensterpuppen hing uns die Freiheit aber ziemlich zum Hals raus. Erst eine Bootsfahrt, die zwei von uns zur Hälfte verpennten, brachte uns die schöne Seite Amsterdams näher. Architektonisch gesehen ist die Stadt nämlich wirklich eine Perle. Ansonsten waren wir aber sehr froh, als wir abends nach London weiterfuhren…

London
Wir waren bereits fast 36 Stunden wach, als wir uns auf einer Bushaltestelle irgendwo in Amsterdam wieder fanden und auf einen Bus warteten, der absolut nicht pünktlich war. Ein mittelalter Schotte mit demselben Reiseziel wollte uns für eine Diskussion über die Problematik der Klimaerwärmung gewinnen, aber Übermüdung und allgemeine Ignoranz führten dazu, dass wir nicht wirklich mitredeten.
Der Busfahrer ermahnte uns schließlich, Amsterdam auch bitte in Amsterdam zu lassen, woraufhin einige Mitreisende etwas abzugeben hatten. Wir führten nur ein Kondom mit Weedprint auf der Packung mit uns (ein Geschenk für einen Freund), aber meine Paranoia veranlasste uns dazu, es zwischen weiblichen Hygieneartikeln zu verstecken. Dies stellte sich im Nachhinein als unnötig heraus, da die Grenzkontrollen zwar ewig dauerten und relativ unheimlich waren (man stelle sich bitte eine überwachte Anlage, mies gelaunte Kontrolleure, kahle weiße Räume mit Postern von vermissten Leuten vor), man aber nicht durchsucht wurde. 

Nach einer durchdösten Nacht mit einigen Klopausen im winzigsten Busklo aller Zeiten fuhren wir schließlich in Calais auf die Fähre nach Großbritannien auf. Trotz des leichten Wellengangs kotzt eine geplagte junge Seele in einen der zugigen Flure, was uns gemeinerweise ziemlich lustig vorkam. Vielleicht waren aber auch nur die extreme Müdigkeit und das Erlebte der vergangenen 48 Stunden daran schuld. Wir blieben jedenfalls in der Nähe des Geschehens sitzen, auch, weil sich dort die einzige nicht von Asiaten okkupierte Steckdose auf der gesamten Fähre befand.

London stellte sich dann als Hoteltechnischer Tiefpunkt heraus. Zwar extrem schön in South Kensington gelegen, fehlte der Unterkunft unserer Wahl aber schon mal eine Rezeption. Wir wurden von Antonio und Jesus (aufgrund seines Aussehens von uns so benannt) empfangen, die gleich mal klarstellten, dass das Zimmer noch nicht bewohnbar war. Nach einigen dubiosen Telefonanrufen („The girls stay here!“) wurden wir schließlich mit der Bitte weggeschickt, um drei Uhr nachmittags wieder zu kommen.
Als wir zum abgemachten Zeitpunkt wieder auftauchten, war nur noch Jesus anwesend, der uns erst in ein anderes Hotel schicken wollte, dubioserweise mit einem Taxi, das nur um sechs Uhr abends fahren konnte. Wir sträubten uns heftig (vor allem, weil wir endlich mal wieder duschen wollten) und bekamen schließlich ein Zimmer im Keller, das allerdings erst einmal gesaugt werden musste. Das Bad teilten wir uns mit einem Franzosen Mitte 40, der präferiert in Unterhosen rumlief.
Schnell stellten wir die Theorie auf, bei der Mafia gelandet zu sein, und sperrten abends immer extra ab. Der Fund eines fremden menschlichen Zehennagels in meinem Bett trug auch nicht zur emotionalen Verbesserung der Situation bei. Meine Freundinnen mussten mich wiederholt darauf hinweisen, dass es dafür eben nicht viel kostete („Leute, es war billig!“). Ach ja: Bezahlen konnte man übrigens ausschließlich mit Bargeld. Nur so am Rande.

Brighton
Die Küstenstadt ist nicht ausschließlich süß und idyllisch. Eine meiner Freundinnen meinte beim Anblick der vielen älteren Einwohner, hier kämen die Leute wohl her, um zu sterben. Unser Hostel war auch das Gegenteil von nett. Im Frühstücksraum schrien sich zwei Frauen an, während nebenher Assi-TV lief, und erschrocken stellten wir fest, dass ziemlich viele Erwachsene in dem Hostel zu wohnen schienen. Ein Schild auf dem Klo nahe der Lobby informierte einen darüber, dass alle 30 Minuten jemand kontrollieren kam. Wir wollten gar nicht genauer wissen, was dort schon alles vorgefallen war und freuten uns schon sehr auf die heimischen Toiletten. Die waren nach den zwei Wochen auch direkt ein Erlebnis. 



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