If I were a boy...

    Bild von Hanna, Text von Caro 

Ich bin gerne ein Mädchen. War ich schon immer. Soll heißen, ich fühle mich meinem natürlichen, angeborenen Geschlecht zugehörig, wenn man das so sagen kann. Trotzdem gibt es Situationen, in denen ich  gerne ein Junge wäre.

Wenn ich abends durch die Stadt gehe, jemand taucht hinter mir auf, und ich beschleunige automatisch meine Schritte.
Wenn meine Mutter sagt, ich soll einen Selbstverteidigungskurs speziell für Frauen machen, weil man das heutzutage eben braucht.
Wenn ich lese, dass wieder irgendwo beim Weggehen ein Mädchen vergewaltigt worden ist.
Wenn ich lese, eine Frau hat ihrem Angreifer die Nase gebrochen, und er hat sie einfach bewusstlos geschlagen. 

Von klein auf haben mir meine Eltern eingebläut, dass ich, sollte ich irgendwo verloren gehen, NIEMALS einen Mann um Hilfe bitten darf. Ich wohne in einem winzigen Kaff, wo jeder jeden kennt, und trotzdem wurde mir immer wieder gesagt, steig nie zu Fremden ins Auto, tu dies und das nicht, das ist gefährlich. Schon als kleines Mädchen hatte ich entsetzliche Angst davor, entführt und in Folge dessen missbraucht oder getötet zu werden. Ich habe alle Berichte über den Fall Natascha Kampusch gelesen und konnte es nicht fassen. Sobald sich mir ein Auto näherte, beschleunigte sich mein Herzschlag.

Und heute, mit 18, frage ich mich: Wieso das alles? Ich gehe gerne weg. Ich werde bald zum Studieren in eine Großstadt ziehen. Ich bin jung und kontaktfreudig. Die meisten meiner Klassenkolleginnen sind auch so. Und doch sagen viele, sie haben Angst vor dieser Zeit, weil  man nie weiß, was passieren wird, man nie weiß, was jemand im Schilde führt.

Das macht mich so wütend. Wir sind ja doch nur das schwächere Geschlecht, oder was. Leichte Opfer. Ich muss daran denken, dass diese eine Frau ihrem Angreifer die Nase gebrochen hat. Da hat er von ihr abgelassen. Aber vorher musste er sie noch schlagen, bis sie ohnmächtig wurde. Scheint so, als würden wir so oder so verletzt. 

Alle (Eltern, Lehrer, Gleichaltrige) sagen immer
Sei vorsichtig
Zieh das nicht an
Vertraue niemandem
Geh nirgendwo alleine hin
Fahr nicht mit der U-Bahn um diese Zeit
Lerne, dich zu verteidigen, du wirst es brauchen
Mach dies, mach das
Mach dies nicht, mach das nicht
Dann passiert dir nichts

Wir müssen uns anpassen. Immer aufpassen. Damit uns irgendwelche kranken Bastarde nichts antun. Ich will nicht, dass das notwendig ist. Es ist einfach falsch. Und es fängt im Kleinen an.

Wenn ein Junge einem Mädchen einen Drink ausgibt und danach der Meinung ist, er hätte ein sexuelles Anrecht auf sie, weil er „ja schon dafür bezahlt hat“.
Wenn selbst ihre Freunde dieser Meinung sind.
Wenn ein Junge beim Weggehen ein Mädchen anmacht, sie ihn abweist und er sie trotzdem einfach nicht in Ruhe lässt.
Wenn Schulen (in Amerika) strenge Dresscodes haben, weil Jungen ja von sichtbaren BH-Trägern oder weiblichen Schultern oder was weiß ich abgelenkt werden könnten.
Wenn dann im Endeffekt doch wieder wir Mädchen schuld sind, denn die Jungen können sich ja anscheinend nicht kontrollieren.

Das Ganze ist so verdreht. Aber ich weiß schon, was ich meiner Tochter einmal sagen werde, sollte ich jemals eine haben.

Sei vorsichtig.
Zieh das lieber nicht an.
Ich hab dich bei diesem Selbstverteidigungskurs speziell für Frauen angemeldet
Hast du gehört, was schon wieder passiert ist?
Fahr nicht mit der U-Bahn, ich hole dich ab.
Sei nicht zu spät zuhause.
Vertraue niemandem.
Mach dies, mach das.
Mach dies nicht, mach das nicht.
Dann passiert dir nichts.


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