Schweigender Spaziergang einer Schauspielschulklasse

Illustration von Dora, Text von Lena
Donnerstagabend, 18:00, wir befinden uns in der Schauspielschule. Ziel: uns innerhalb der nächsten vier Jahre auf unseren zukünftigen Beruf vorbereiten. Und vieles mehr. Vieles mehr erledigen wir unter anderem an besagtem Donnerstagabend:

A. scherzt fast nie. Obwohl er einer der humorvollsten Lehrern ist, macht er keine Schärze über Dinge, die wir machen müssen. Wenn er sagt, wir werden die nächste Dreiviertelstunde damit verbringen, uns so langsam wie möglich (und ohne jeglicher sichtbaren Bewegung) auf die Tür zubewegen, dann werden wir das auch machen.
Und wenn er sagt, wir werden die nächste Unterrichtsstunde dazu verwenden, einen Spaziergang zu machen, so laufen die ersten von uns noch mal schnell aufs Klo um sich anschließend in dicke Stiefel, Handschuhe, Jacken, Mützen zu packen. Die einzigen Bedinungen für unseren Spaziergang sind 1, Es ist kein Weg vorgegeben. 2, Wir müssen immer als Gruppe möglichst eng zusammenbleiben. 3, Während des gehens sollen wir immer wieder Positionen wechseln, hinten, vorne, mitte, rechts, links... 4, Wir können auch einfach mal stehenbleiben, uns hinsetzen, legen, machen was wir wollen, aber wenn muss immer die ganze Gruppe mitmachen. 5,In eineinhalb Stunden sollen wir wieder vor der Schule stehen. 6, Während dem ganzen Spaziergang darf nicht gesprochen werden. Kein Wort. Auch nicht über Handzeichen oder Ähnliches.

Wer vorne geht, bestimmt also die Richtung. Die Zwölf Leute inklusive A. marschieren also erst einmal in Richtung weg vom Zentrum, es ist seltsam, ungewohnt, nicht zu sprechen, nicht zu kommunizieren, einzig allein durch gehen und vielleicht manchmal kurzen Augenkontakt.
Irgendwann kommen wir zu einer großen Kreuzung und marschieren in vollkommener Einigkeit vier Mal im Kreis um den Zebrastreifen, um dann in Richtung Stadtmitte zu steuern. Es macht wirklich Spaß. Außerdem beginnt es zu dämmern und die ersten Straßenlaternen flackern um die Stadt dann mit Kunstlicht zu durchfluten.
Es fällt nicht besonders schwer, nicht zu sprechen. Es gibt so viele andere, hunderttausend andere Dinge, die wahrgenommen, gesehen, gehört werden müssen. Die Männer auf der anderen Straßenseite, die ihren Müll entleeren, der Hund der an seiner Leine bellt, das Licht im vierten Stock das aus einem Altbau leuchtet.
Wir gehen und gehen und gehen und irgendwann kommt jemand auf die wunderbare Idee, einfach mal stehen zu bleiben. Die Gruppe bleibt also gemeinsam stehen. Kein Wort ist geflossen. Und wir stehen. Lustig irgendwie.
Die Leute, die in den Straßen unterwegs sind, glotzen ohnehin schon immer ein wenig, wie wir da als Gruppe schweigend an ihnen vorbeischrieten. Als wir dann auch noch einfach wie versteinert stehen bleiben, finden das 37 % der Passanten und zum-Bus-Eilenden sehr seltsam. Die restlichen 63 % versumpfen musikhörend in ihren zärtlich in den Händen Liegenden Smartphones.

Wir werden immer kreativer. Machen uns einen Spaß daraus, eeeexxxttttrrrraaaaa lllllaaaannnnggggssssaaaammm zu schlurfen und nach einigen Metern die an uns vorbeigelaufenen Menschen im Schnellschritt wieder zu überholen. Bleiben vor dem Zebrastreifen wartend stehen und gehen, als das grüne Männchen fröhlich aufblinkt, trotzdem nicht weiter. Die andere Frau am Zebrastreifen ist verwirrt, es war doch Grün? Und die gehen nicht?Was soll das?
Stellen uns vor die Auslage eines Restaurants und starren die darin Essenden eine halbe Ewigkeit an.

Alle gemeinsam und ohne zu sprechen.
Nach einiger Zeit fällt schon gar nicht mehr auf, dass wir nicht reden. Was uns dafür auffällt sind all die anderen Leute in der Stadt, die während des gehens entweder sinn- und nutzlose Telefongespräche führen, sich mit Musik durch ihre Kopfhörer eindröhnen und nichts anderes mitbekommen oder mit Leuten schwatzen, um nicht irgendwie komisch still und leise nebeneinander hertrotten zu müssen.

Als unser Spaziergang dem Ende naht, biegen wir noch in ein Einkaufszentrum. Extra langsam gehen wir durch, bleiben immer wieder Stehen, Menschen gehen vorbei und denken, wir machen eine Performance, Menschen gehen vorbei und denken, wir sind komisch. Ich denke nach. Hoffentlich glauben sie nicht, wir sind Terroristen oder so. Darf man das überhaupt rechtlich gesehen, einfach so irgendwo stehen bleiben? Noch dazu in einer Gruppe von zwölf Personen? Ist das eh legal?
Absurde Gedanken. Jeder Mensch hat das Recht, in einem Einkaufszentrum stehen zu bleiben. Oder?
Ich hab trotzdem vorher noch nie jemanden schweigend im Einkaufszentrum stehen sehen. Komisch.

Schon fast am Ausgang bleiben wir für sehr lange Zeit ans Tor gelehnt stehen. Viele Leute schauen uns während des vorbeigehens nach. "Haha, oida, foi 'Facckk se sisdem' oda so" meint ein Jugendlicher zu seinem Kumpel. Zur krönung bleiben zwei Asiatische Touristen eeeewwig vor uns stehen, schauen uns an, gehen ein wenig weiter, schauen uns wieder an, kommen wieder zurück. Schauen uns an. Dann irgendwelche Worte in einer uns unbekannten Sprache.
Und schon steht die Frau lächelnd und mit den Händen Peace-Zeichen formend zwischen uns und lässt sich vom Mann mit dem Handy fotografieren. Sehr absurd.

Es wäre stockdunkel ohne Straßenlaternen, als wir ankommen. Als wir die Schule wieder betreten, ist es wirklich komisch, wieder zu sprechen.
Es hat auch ohne so gut funktioniert. Wir waren irgendwie offener, aufnahmefähiger, sensibler.

Aber es ist auch schön, wieder zu sprechen. spätestens als wir auf einem Fest lauthals zu The Feathers grölen, brauchen wir unsere Stimme wieder unbedingt.  ♫

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