NEIN, nicht in den Müll!! Über Wegwerfen, Recycling und grausame Eltern.



Man nehme eine leere Klopapierrolle, schneide ihr an einer Seite 3 cm tiefe Zacken, befestige auf der anderen Seite zwei Schnüre und bemale das ganze Gelb, Gold und Glitzerig. Anschließend setze man sich das ganze auf den glückselig-strahlenden Kopf, binde die beiden Schnüre unter dem Kinn zu einem festen Knoten und freue sich zutiefst über die soeben erschaffene KRONE.
Das Prinzip ist simpel. Aus altem Müll wird neuer Prunk.
Aus Strickpullovern Ohrenwärmer.
Aus leeren Flaschen neue Lampen.
Sofort hat man sein Karma um Meilen verbessert, wunderbar recycelt und ist außerdem ein bewussterer und besserer Mensch. Wooooooooow!!!!

Vor einiger Zeit - mit zwölf Jahren - suchte mich die extreme, absolute und unbekämpfbare Recycling-Phase heim. Ich kritzelte tausende von Blättern (Recyclingpapier, versteht sich natürlich von selbst) mit Ideen für recycelte Lampen, Kleider, Bücher, Sofas, Tischchen, Ohrringe und Schüsseln voll, zeichnete Pläne für Sofas und Taschen aus wiederverwertbaren Materialien und versuchte, Hängematten aus alten, zerschnittenen Plastiksäcken zu weben.
Einmal versuchte ich sogar, mit Hilfe eines How-To meiner Geolino-Ausgabe Schuhe aus altem Zeitungspapierund Klebeband zu kreieren. 
Meine ersten selbstgemachten Schuhe sahen sogar ganz gut aus, ein bisschen wie eine Mischung aus Platform Sandals, Chiesen-Schuhen und Creepers. Nur Gehen war darin eher unbequem.

Irgendwann warf warscheinlich jemand von meinen Eltern meine Zeitungsschuhe in die verhasste, gefräßige Altpapier-Mülltonne. Natürlich höchstens darauf achtend, dass ich es nicht sehen würde, denn ich hing an ALLEM und sah in jeder noch so kleinen Schraube einen großen Wiederverwendungszweck.
Ich besitze sogar einen eigenes Regal nur für 'Dinge-die-ich-vielleicht-irgendwann-einmal-brauchen-könnte'. Darin stapeln sich Stoffreste, Bänder, Borten, Getränke-Dosen-Aufmach-Objekte, Kaugummiverpackungspapierchen, ausgemalte Stifte, Zeitungsartikel mit interessanten Bildern, leere Maisdosen und restlicher Krimskrams.
Daneben sind Reihen von Magazinen und Zeitungen. Vor allem 'Die Presse.Schaufenster', mein wahrscheinlich erstes „Magazin mit Mode- und ähnlichem Luxus-Inhalten“.

'Die Presse.Schaufenster' ist der Name einer Gratisbeilage der Österreichischen Tageszeitung 'Die Presse'. Es erscheint jeden Freitag. Seit Sommer 2012 hebe ich jede, jede, jede einzelne Ausgabe auf. Jetzt und an dieser Stelle würde ich natürlich gerne die Nummer meiner bis jetzt eisern an-gehorteten 'Die Presse.Schaufenster' Ausgaben veröffentlichen, aber zu ihrem eigenen Schutz muss ich es leider unterlassen. Der Grund dafür ist, dass das hier womöglich meine Eltern lesen könnten. Anschließend würden sie sich an meine fünf Tonnen von Magazinen erinnern und - grausam, wie Eltern nun mal sind - womöglich meine derzeitige Abwesenheit als Chance sehen und sie nutzen, um und heimlich die Chance meiner Abwesenheit nutzen, hinauf in mein Zimmer zu schleichen und einen armen, verstaubten Stapel von 'Die Presse.Schaufenster'-Ausgaben grob in die ewigen Jagdgründe (unseren Heizofen) zu befördern.

Meine Eltern halten also nichts von Aufheben und Ansammeln.
Unsere Konflikte – als ich noch nicht in Brasilien war – handelten meißtens von
„Wo ist mein Radiergummi/Hosenanzug/Schnitzmesser/Gitarrenplektrum/Buch!!! WER!VON!EUCH! hat es weggeräumt!!?!“ (Weil ich zwischen dem ganzen 'Müll' manchmal Dinge verliere),
oder von „Du musst diese fünf Stapel auf dem Fensterbrett in dein Zimmer verfrachten! -NEIN!! Wohin denn!! Am Fensterbrett stören meine Magazine und Papiere niemand!! -Ich werde einen Müllsack nehmen und alles hineinwerfen!!!“ (Wobei die Kursiv geschriebenen Worte aus dem Munde meiner Eltern stammen. Di Müllsackdrohung blieb zum Glück immer nur vergebliche Einschüchtern. Ich denke, es stehen immer noch einige Magazinstapel auf unserem Garderoben-Fensterbrett...).

Papiere waren ein weiterer Teil meine Aufhebe-Manie.
Meine Mutter druckt manchmal berufsbedingt hunderte von Seiten aus, die sie anschließend doch nicht braucht und normalerweise wegwirft.
Ich war immer die Person, die das ganze unordentlich gestapelte 'Altpapier' wieder ans Tageslicht brachte und als Schmierpapier oder Notizzettel verwendete.
Auch jetzt, in Brasilien, verwende ich immer noch Zetteln, Unterrichtsunterlagen, Übungsblätter und Tests, die ich nicht mehr brauche, für das erschaffen von Couverts und Briefen.

Als ich im August nach Brasilien kam, hatte ich nur bei mir, was wirklich notwendig war.
Das heißt, ich besaß hier keine Magazine, Stoffreste oder Metallteilchen. Mittlerweile – und ziemlich unterbewusst – habe ich mir schon wieder ein kleines Arsenal dieser 'alten, unbrauchbaren Teile' angehortet.
Das traurige daran ist, dass ich weiß, dass ich alle Materialien im Juli hier (im Mülleimer) lassen muss: Meine Koffer werden ohnehin schon überfüllt sein und ohne Platz für Zeitungen, Stoffflicken und Zuckerlpapiere in dem schönsten helltürkis das die Welt je gesehen hat. Wahrscheinlich würde meine Gastfamilie einen dreiwöchigen Kreischanfall bekommen, wenn sie all meine gesammelten, zerschnipselten Gratismagazine und Papierchen zu Gesicht bekommen würde. Dieser 'Müll' ist jetzt schon zu viel, um all den Dingen bis Juli 'Neues Leben' einzuhauchen.
Aber das befreiende daran ist, dass es ökologisch gesehen egal ist, diese Sachen wegzuwerfen, da sie ohne meiner sozialen, rettenden Hand ohnehin längst schon verschrottet wären.

Der ökologische Aspekt war damals, vor vielen, vielen Jahren, als die Welt schon gleich widerwärtig schmutzig, monströs grau, plastikverpestet, CO2-reich und von Menschenhand fast bis aufs Knochenmark zermalmt war, für mein zwölfjähriges 'ich' der Hauptgrund, mich für Recycling zu interessieren.
Nach und nach fand ich immer mehr Ideen und Materialien, aus denen man neues schaffen könnte.
Außerdem auch wunderbare Websites wie 'We Upcycle' , eine von zwei Studentinnen gegründete ...Plattform? ...Blog? - Okay, eine von zwei Studentinnen gefundene, wunderbare Idee: Sie wollten einen Monat lang pro Tag eine Upcycling-Idee vorstellen. Nach und nach sendeten immer mehr Leute Gastbeiträge ein und das Projekt lief 1097 Tage lang.

Das schönste an Recycelten Dingen ist der Moment, in dem du dieses Armband siehst. Und du gehst näher und denkst dir 'Woah, voll schön!!'. Du gehst du noch ein Stückchen näher und -woooow- das ist ja aus ganz vielen einzelnen Eisen-Silken geflochten!
Und dann – als du ganz nah dran bist und deine Augen gerade nicht die silbernfarbigen, dünn gezwirbelten Drähtchen berühren, merkst du, das hier sind keine Drähtchen, das hier ist ein Armband geflochten aus Gitarrensaiten.

Es solle das Recycling für immer an die Macht. ▼

Von Lena

0 Kommentare :