Die lila gefärbten Haare wehten sachte im Wind und mit der linken Hand winkte sie den jungen Mann lächelnd zu sich her. Ihren vergipsten Arm hielt sie auf den Einkaufswagen gestützt, der beinahe im Matsch versank, schwer von dem Gewicht der vielen Bierdosen darin.
Musik ertönte aus einem
der etlichen Zelte.
Wer wohl gerade auf der
Hauptbühne spielte? Rasch suchte sie nach dem Zettel mit dem
aufgedruckten Line-Up Informationen.
Gerade, als sie die
richtige Uhrzeit gefunden hatte, wurde ihr das Programm vom Wind aus
der Hand geweht.
Lange schon hatte sie
sich nicht mehr so jung gefühlt.
Frau
Agathe hatte es sich gerade in ihrem alten Schaukelstuhl bequem
gemacht, als ein helltürkises Motorrad vom Himmel fiel und direkt
vor ihrer Veranda im Gras landete.
Es
geschieht einem nicht alle Tage, ein fliegendes (oder zumindest
fallendes) Motorrad in seinem Garten vorzufinden, und obwohl Frau
Agathe schon viel erlebt hatte in ihren letzten zweiundneunzig
Jahren, war sie doch einigermaßen erstaunt.
Langsam
stieg sie die Veranda-stufen hinab und blickte zuerst einmal
vorsorglich in den Himmel hinauf. Sie war zwar bereits eine alte
Frau, trotzdem hatte sie nicht vor, von möglichen weiteren
Motorrädern noch erschlagen zu werden.
Aber der
Himmel war klar und blau, und zeigte keine weiteren Anzeichen von
herunter regnenden Fahrzeugen oder oder ähnlichen Verrücktheiten.
Beruhigt
wandte sich die Alte nun dem Motorrad zu.
Einige
ihrer zwölf Hühner waren neugierig aus dem Stall gekommen (so sehr
sich Frau Agathe auch damit abrackerte, all die Löcher im Zaun des
Hühnergeheges zu flicken, sie fanden doch immer wieder einen Weg
hinaus). Neugierig gackernd stapften sie nun um das Motorrad herum,
pickten mal hier, mal da nach einem vermeintlichen Wurm in den Felgen
der Räder und scharrten mit ihren runzeligen Beinchen im frischen
Gras.
Kurz
überlegte Frau Agathe, wessen Eigentum dieses türkise Fahrzeug wohl
sei. Nach einigen Sekunden schnelles Denkens (trotz ihres hohen
Alters funktionierten Frau Agathes Gehirnzellen noch exzellent) kam
sie zu dem Schluss, dass dieses Motorrad wohl rechtlich gesehen nun
ihr gehören müsste.
Die alte
Frau hatte sich zwar noch nie äußerst mit Rechtsjustiz beschäftigt,
aber nachdem das Herrenlose Ding auf ihrer Wiese gerade
ihre armen Gänseblümchen in einen langen und qualvollen Tod
quetschte, sollte man wohl davon ausgehen, es sei nun ihr Besitz.
„Das
Leben ist schon eine verrückte Sache“, sagte sie leise zu ihren
Hühnern. „Da will man sich nur mal kurz im guten alten
Schaukelstuhl zurücklehnen, und schon knallt es einem ein Motorrad
vor die Veranda, dass die Erde nur so bebt“.
Frau
Agathe sprach oft mit ihren Hühnern. Manchmal war sie ihnen ganz
dankbar dafür, andauernd aus dem Stall auszubüxen und im Garten
nach Würmern zu scharren. So hatte sie wenigstens hin und wieder ein
wenig Gesellschaft beim Kaffee trinken im guten alten Schaukelstuhl.
Keuchend
rackerte sich die Alte nun damit ab, das elend schwere Fahrzeug aus
dem feuchten Gras zu heben und aufzustellen.
Bis auf
einige Kratzer an der Seite sah das ganze noch ziemlich gepflegt und
leistungsfähig aus. Sogar die Schlüssel steckten noch.
Frau
Agathe rückte ihre rund geformte Brille zurecht.
„Früher,
als ich noch jung war, da hatte ich mal ein Motorrad“, erklärte
sie den wissbegierigen Hühnern. „Ich bin damit immer zum Chiemsee
gefahren, im Sommer. Damals, als ich noch ein frisch und junges Mädel
war, und das Leben ein einziges großes Abenteuer“.
Verständnisvoll blickte ein Huhn zu ihr hoch. (Vielleicht starrte es auch einfach nur auf den Regenwurm, den die alte Frau soeben aus der Erde gezogen hatte. Bei Hühnern kann man nie sicher sein. Das war anter anderem einer der Kritikpunkte, der Frau Agathe immer wieder bei ihren tiefsinnigen Gesprächen mit den Hühnern auffiel).
Verständnisvoll blickte ein Huhn zu ihr hoch. (Vielleicht starrte es auch einfach nur auf den Regenwurm, den die alte Frau soeben aus der Erde gezogen hatte. Bei Hühnern kann man nie sicher sein. Das war anter anderem einer der Kritikpunkte, der Frau Agathe immer wieder bei ihren tiefsinnigen Gesprächen mit den Hühnern auffiel).
Bedächtig
ließ sie den Wurm vor das vor Freude ganz verrückt gewordene Huhn
fallen.
Dann
blickte sie an sich hinunter.
Sie
hatte immer noch ihren alten, ausgetragenen Morgenmantel und die
warmen Strickpantoffeln an.
Langsam
streckte sie eines der Beine und schüttelte die Pantoffel ab.
Das Gras
fühlte sich so frisch an, als sie mit dem nackten Fuß auftrat.
Und es
kitzelte ein bisschen! Agathe musste leise kichern.
Sie
schüttelte auch die zweite Pantoffel ab. Mit den Zehen zupfte sie
ein Gänseblümchen aus der Wiese.
Zu lange
hatte sie schon das Leben einer klassischen alten Frau gelebt.
Jetzt
reichte es wohl mal!
Hier in
diesem Haus hielt sie nichts mehr. Mit wackeligen Knien stieg sie auf
das Motorrad. „Man kann immer erst dann wissen, dass man eine
Dummheit begangen hat, wenn man sie ausprobiert hat“ meinte sie
vergnügt zu den Hühnern, die sie mit ihren kleinen Kulleraugen blöd
anstarrten.
Frau
Agathe drehte den Zündschlüssel um. Das Motorrad knurrte kurz. Dann
knurrte es mehr --- und sprang schließlich wirklich an.
Sie
winkte den Hühnern noch schnell im davonrasen, dann verschwand sie
endgültig hinter der nächsten Biegung.
Der
Biegung einer Straße, die sie noch zu allerhand aufregenden
Erlebnissen bringen sollte.. ▼
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